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Luiz Ramires (57) aus Brasilien gibt Seminare über Geschlechterrollen und sexuelle Vielfalt für Lehrer und Schulleiter. Momentan macht er seinen Doktor in Bildungssoziologie.
Priester werden, um nicht zu sündigen
Ich wusste, dass die Kirche Homosexuelle als Abschaum und Sünder bezeichnet, die in die Hölle kommen würden. Deswegen fi el es mir sehr schwer einzusehen, dass ich schwul bin. Der einzige Ausweg schien mir, nicht sexuell aktiv zu werden. Ich begann, Philosophie und Theologie zu studieren, um Priester zu werden. Das Problem dabei war: Je mehr du deine Gefühle unterdrückst, desto stärker werden sie.
Jesus äußerte sich nie direkt zu Homosexualität
Irgendwann wies mich jemand darauf hin, dass gegen Schwule nichts wörtlich in der Bibel geschrieben steht. Wenn Homosexualität in Gottes Augen so schlimm wäre, hätte er es dann nicht thematisiert? Es war nie die Kernbotschaft der Lehren Jesu. Es ist eine Frage der Moral und moralische Vorstellungen verändern sich im Laufe der Zeit. Ich begann, die Kirche kritisch zu hinterfragen und Sexualität und Homosexualität auf eine neue Art und Weise zu verstehen. Nach dem Studium wurde ich nicht Priester, sondern LSBT-Aktivist.
Ich gebe Seminare für Lehrer und Schulleiter. In meinen Kursen versuche ich, zu erklären, dass man sich Dinge wie sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität nicht freiwillig aussucht. Ich frage die Kursteilnehmer: „Haben Sie sich in Ihren Teenagerjahren dafür entschieden, heterosexuell zu sein?”
Die Meinung der Kirche hat einen großen Einfl uss
Auch wenn juristisch gesehen Homosexualität in Brasilien legal ist, ist unsere Gesellschaft sehr homophob. Allein im Jahr 2017 wurden in Brasilien 445 Menschen ermordet, weil sie LSBT sind. Zwei Drittel der Bevölkerung sind katholisch, die Meinung der Kirche hat deshalb einen großen Einfl uss. Viele Brasilianer glauben, dass Gott Männer und Frauen geschaffen hat, damit sie sich fortpfl anzen. In letzter Zeit werden die Menschen etwas offener: Vor zehn Jahren haben Umfragen ergeben, dass 48 Prozent der Befragten für die gleichgeschlechtliche Ehe sind, jetzt sind es bereits 55 Prozent.
Wenn ich mit anderen Katholiken spreche, die nicht Teil der religiösen Hierarchie sind, sondern ganz normale Gläubige, dann stelle ich fest, dass die meisten sehr offen sind. Aus ihrer Sicht ist es in Ordnung, einen anderen Menschen zu lieben, egal welchen Geschlechts, denn für Gott zählt nur die Liebe. Je mehr Aufklärungsarbeit wir leisten, desto mehr Menschen werden diese Einstellung übernehmen. Wir alle zusammen müssen die Kirche verändern und gestalten und damit der Kirche dabei helfen, die Welt zu verändern.