Kirche kann sich ändern: Gleichberechtigung von LGBT in der katholischen Kirche

Chinese / English / Español / Française / German / Italiano / Portugues

Liebe Geschwister aus der ganzen Welt,

wir haben gerade Karl Heinrich Ulrichs kennengelernt, der oft als der erste schwule Aktivist der Weltgeschichte bezeichnet wird. Vor 150 Jahren hat er in München eine bemerkenswerte Rede gehalten. Beim Deutschen Juristentag 1867 rief er die Anwesenden dazu auf, die Kriminalisierung von Männern, die Männer lieben, zu beenden. Aber sein Plädoyer für diese gerechte Sache wurde nicht gehört. Die Mehrheit seiner Zuhörer wurde wütend und hat ihn niedergebrüllt. Während seines Lebens hat Ulrichs viele Aufsätze und Bücher geschrieben, in denen er seine Sicht auf Männer, die Männer lieben, dargestellt hat. Er gab ihnen den Namen „Urninge“ zu einer Zeit, als der Begriff „homosexuell“ noch nicht erfunden, aber schon etwas Neues in der Geschichte in Erscheinung getreten war. Je länger er über Urninge forschte, desto klarer erkannt er, dass es nicht nur Männer und Frauen gab, die das gleiche Geschlecht lieben, sondern auch andere Arten von Geschlechtsidentitäten. Für sie erfand er ebenfalls spezifische Begriffe. Ulrichs hat sehr klar gemacht, dass die Menschenrechte auch auf die Arten von Personen angewendet werden müssen. Sogar die kirchliche Homo-Ehe war schon auf der Liste seiner politischen und theologischen Ideen und Forderungen.

In den letzten Monaten gab es in Deutschland für LGBTIQ-Personen drei bedeutsame Ereignisse, drei neue Errungenschaften, die das, was Karl Heinrich Ulrichs gefordert hatte, zu einem glücklichen Ende bringen, drei gerechte Forderungen, die endlich gehört worden sind.

  1. Zu unserer großen Überraschung hat Kanzlerin Merkel die Tür für eine Entscheidung des Deutschen Bundestags über die gleichgeschlechtliche Ehe geöffnet, indem sie diese Abstimmung für eine individuelle Gewissensentscheidung freigab. Bis dahin hatte sie in den 12 Jahren ihrer Kanzlerschaft jede Entscheidung des Parlaments blockiert.  Die Sozialdemokrat_innen haben diese Gelegenheit sofort beim Schopfe gepackt und eine Gesetzesvorlage, die bereits im Beratungsverfahren war, dem Bundestag zur Abstimmung vorgelegt. Mit einer klaren Mehrheit hat der Bundestag in seiner letzten Sitzung vor Ablauf der Legislaturperiode für die sog. „Ehe für alle“ gestimmt. Urplötzlich hatten wir in unserem Land dieses Symbol der vollen rechtlichen Gleichheit von Lesben und Schwulen erreicht. Für viele von uns war das ein unglaublicher Moment voller Freude. Endlich wurde wahr, wovon wir so lange geträumt und wofür wir so lange gekämpft haben.
  2. Der Bundestag hat außerdem ein Gesetz verabschiedet, das die Strafurteile gegen homosexuelle Männer, die nach § 175, dem Antihomosexuellengesetz, als unwirksam und ungerecht aufhob. Von den Nazis waren die Strafen für gleichgeschlechtliche Handlungen zwischen Männern auf mehrere Jahre Gefängnishaft erhöht worden. In dieser Form blieb das Gesetz auch in der Bundesrepublik Deutschland bis 1969 in Kraft. In diesem Zeitraum wurden sogar mehr schwule Männer zum Gefängnis verurteilt als während der Nazi-Zeit. Diejenigen von ihnen, die noch am Leben waren, sind jetzt rehabilitiert und erhalten eine Entschädigung für die Jahre, in denen sie inhaftiert waren. Zum ersten Mal in unserer Geschichte, ist ein Gesetz, das von einem demokratisch legitimierten politischen und juristischen System beschlossen worden war, rückwirkend als falsch und ungerecht erklärt worden.
  3. Erst vor zwei Wochen hat das Verfassungsgericht entschieden, dass die nächste Regierung ein Gesetz einbringen muss, das eine dritte Option bei der Kategorisierung des Geschlechts erlaubt. Das könne „inter“ oder „divers“ oder auch anders genannt werden. Es genüge nicht, dass die Geschlechtsklassifikation bei der Geburt lediglich leer gelassen werde. Dieses Urteil erkennt an, dass intersexuelle Menschen eine Geschlechtsidentität haben können, die weder männlich noch weiblich ist, aber dennoch eine positive Geschlechtsidentität darstellt. Man kann diesen Spruch zu Recht als eine Revolution bezeichnen, weil er zum Prinzip erklärt, dass die Persönlichkeitsrechte einer individuellen Person wichtiger sind als das binäre System der Geschlechter und Geschlechtsidentitäten.

Zu unserer großen Überraschung wurde das Urteil sowohl vom Sprecher der katholischen Deutschen Bischofskonferenz (DBK) als auch von zwei akademischen katholischen Theologen begrüßt, die es als ein Zeichen des Respekts für die individuelle Persönlichkeit von intersexuellen Menschen wertschätzten.

Ich möchte jetzt ein wenig genauer erläutern, was in Deutschland in den letzten Jahren in der Beziehung zwischen uns LGBTI Katholiken und der römisch-katholischen Kirche passiert ist.

Schon 2011 hatten wir den Eindruck, dass sich in der katholischen Kirche etwas Neues tut. Einige Kardinäle und Bischöfe traten mit Stellungnahmen neuen Typs hervor, z. B. über die Notwendigkeit, Schwule und Lesben in die Gemeinden zu integrieren statt sie auszugrenzen oder über ihre Wertschätzung von Liebe und Fürsorge als positiven Werten, die auch in vielen gleichgeschlechtlichen Partnerschaften verwirklicht würden.

Die 26 Jahre der beiden Pontifikate von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. hatten nicht mehr viele lesbische und schwule Aktivist_innen übrig gelassen, die noch Hoffnung hatten, dass es möglich sei, die katholische Kirche zu verändern. Die wenigen verbleibenden katholischen schwulen Aktivisten meines Vereins, Homosexuelle und Kirche (HuK), begannen daher über neue Organisationsweisen nachzudenken. Wir gründeten das Katholische LSBT-Komitee, ein informelles Netzwerk von acht katholischen und ökumenischen christlichen LGBT-Gruppen. Neben der HuK umfasst dieses Komitee noch das Netzwerk katholischer Lesben, die AG Schwule Theologie, die Katholischen Schwulen Priestergruppen Deutschlands und die Jugendorganisation der Katholischen Jungen Gemeinde, KJGay, als bundesweite Organisationen sowie drei lokale Gruppen in Magdeburg, Frankfurt und München. Dieses Katholische LSBT-Komitee wurde  zur zentralen Plattform für die katholische LSBT-Kirchenpolitik in Deutschland.

Die Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK) e.V. rief das Projekt „Catholics for LGBT Equality“ (Gleichberechtigung von LSBT in der katholischen Kirche) ins Leben, das von der Open Society Initiative for Europe finanziell gefördert wird und für das ich als Projektleiter in Teilzeit arbeite.

2012 haben wir den Dialog mit dem Vorstand des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) begonnen, dem Dachverband, der mehr als 20 Millionen Laienkatholik_innen in Deutschland vertritt. Dem folgten Treffen und eine Zusammenarbeit mit einigen seiner Mitgliedsverbände wie dem Bund der Katholischen Jugend (BDKJ), den beiden katholischen Frauenverbänden und der Katholischen Arbeiterbewegung (KAB). Diese Kontakte erwiesen sich als sehr hilfreich. Sie verschafften uns nicht nur Platz im offiziellen Programm des Katholikentags, der alle zwei Jahre stattfindenden Großveranstaltung der katholischen Laien in Deutschland, sondern der ZdK forderte auch öffentlich von unseren Bischöfen die Einführung von Segnungsfeiern für gleichgeschlechtliche Paare.

Wir haben uns auch mit den Bischöfen von Berlin, Trier und noch einmal Berlin getroffen sowie mit hochrangigen Führungskräften aus anderen Diözesen. Anfang 2013 begann eine Reihe von jährlichen Treffen mit Bischof Franz-Josef Bode, dem Bischof meines Heimatsbistums Osnabrück und Vorsitzenden der Pastoralkommission der DBK. In ihm haben wir einen angstfreien Gesprächspartner gefunden, der bereit war und ist, zuzuhören und der schon durch seine Arbeit als Vorsitzender der Jugendkommission darauf vorbereitet war, sich mit Schwulen und Lesben auseinanderzusetzen.

Bei unseren jährlichen Treffen mit ihm und meist drei Mitarbeiter_innen der Pastoralkommission haben wir uns jeweils auf ein Thema konzentriert:

2013 Die Verbesserung des kirchlichen Arbeitsrechts für lesbische und schwule Mitarbeiter_innen der Kirche

2014 Der Ort von Schwulen und Lesben in der theologischen Anthropologie bzw. die Frage: Wie kann man ein simplifiziertes Verständnis des Naturrechts überwinden?

2015 Die Chancen der Familiensynode für LGBTs und ihre Familien

2016 Die Frage, ob es möglich ist, Segnungsfeiern für gleichgeschlechtliche Paare einzuführen

2017 Die Seelsorge für Trans-Menschen.

Wir haben unsererseits versucht, diesen Treffen eine bestimmte Struktur zu geben. Zu Beginn haben jeweils ein oder zwei Personen von ihren Lebenserfahrungen erzählt, für die das Thema des Treffens von besonderer Bedeutung war. Manchmal folgte darauf ein theologischer oder konzeptioneller Vorschlag von unserer Seite. Danach gab es Zeit für Diskussionen, die meistens die Form einer gemeinsamen Suche aufwies, bei der es darum ging, Prinzipien der katholischen Tradition mit dem Thema zu verknüpfen. Ebenso ging es darum kritisch zu bewerten, wie mögliche Wege nach vorne aussehen könnten bzw. was zu viel Widerstand auslösen würde oder zu schlecht begründet ist. Gegen Ende der Treffen haben wir in der Regel noch einen konkreten, praktischen Vorschlag unterbreitet (manchmal aber auch gemeinsam im Gespräch entwickelt). So z. B. den Vorschlag zu einer grundlegenden Fortbildung für Mitarbeiter_innen in der Homosexuellenseelsorge und in kirchlichen Beratungseinrichtungen über die seelsorgerliche und pastorale Arbeit mit Trans-Personen.

Dieser regelmäßige Dialog hat bereits einige Früchte getragen. Dabei möchte ich freilich anmerken, dass wir natürlich nicht die einzige Gruppe in der Kirche gewesen sind, die bei den folgenden Themen in die gleiche Richtung gewiesen haben.

  • In der Frage des kirchlichen Arbeitsrechts haben wir jetzt die Situation, dass das Eingehen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft nicht mehr als Grund angesehen wird, um kirchlichen Mitarbeiter_innen automatisch zu kündigen. Dies ist jedoch nur gültig für Krankenschwestern, Erzieher_innen, Ärzte_innen und andere, jedoch nicht für diejenigen unter uns, die im kirchlichen Verkündigungsdienst tätig sind, d. h. für pastorale Mitarbeiter_innen in der Gemeinde und für Religionslehrer_innen.
  • Während der Familiensynode 2015 kam aus der deutschsprachigen Arbeitsgruppe der Vorschlag für eine Änderung des Abschlussdokuments im Hinblick auf das Verhältnis von Sex und Gender. Dieser Vorschlag wurde in das Abschlussdokument aufgenommen. Es ist das erste Mal, dass ein offizielles katholisches Dokument den Gender-Begriff positiv bewertet. Mitten in der gegenwärtig dominanten Strömung einer katholischen Anti-Gender-Hysterie, kann dies als Durchbruch betrachtet werden zu einer zukünftigen Anerkennung der Vielfalt der Geschlechtsidentitäten. Dieser Änderungsantrag wurde begleitet von der Publikation des Faltblatts „Gender sensibel“, das ein positives katholisches Verständnis von Gender Mainstreaming, gleichgeschlechtlichen Beziehungen, intersexuellen Körpern und queeren Heiligen präsentiert. Akademische Theolog_innen aus Deutschland haben das Thema „Gender“ mit großer Intensität aufgegriffen. Allein im Jahr 2017 haben sie drei Sammelbände publiziert, in denen der theologische Nutzen des Gender-Konzepts bekräftigt wird.
  • Am Ende der Synode haben die drei deutschen Bischöfe Frauen und Homosexuelle öffentlich dafür um Entschuldigung gebeten, dass sie in der Vergangenheit dogmatischen Denkweisen den Vorzug vor einer pastoralen Sichtweise gegeben haben. Es ist zwar noch nicht klar, welche Konsequenzen die Kirche in Deutschland aus dieser Entschuldigung ziehen will, aber dennoch ist es ein bedeutsames Zeichen für eine Umkehr.

Eine andere wichtige Frucht der Familiensynode und von Papst Franziskus’ Schreiben „Amoris Laetitia“ ist eine neue Welle der Einrichtung von haupt- und ehrenamtlichen Teams, die einen offiziellen Auftrag zur Homosexuellenseelsorge erhalten haben. Während einige Diözesen wie Hildesheim, Osnabrück, Limburg und Freiburg und unsere Kolleg_innen in Österreich (in Linz und Innsbruck) dies schon seit vielen Jahren praktizieren, kann man jetzt deutlich wahrnehmen, dass mehr und mehr Diözesen sich ebenfalls auf diesen Weg begeben, unter ihnen auch die Erzdiözese München-Freising. Um diesen Prozess zu begleiten, haben wir ein Konzeptpapier zur Regenbogenpastoral entwickelt nicht zuletzt um sicherzustellen, dass die Bedürfnisse von lesbischen, bisexuellen, transidenten und intersexuellen Personen von vornherein mitberücksichtigt werden. Es reflektiert auch die Widersprüche zwischen diesem neuen pastoralen Ansatz und der „alten“, aber immer noch offiziell gültigen Moraltheologie, die homosexuelle Handlungen verurteilt und homosexuelle Personen als moralisch zweifeilhaft betrachtet.

Ich bin sicher, dass die Arbeitsgruppe zur LGBTIQ-Pastoral während dieser Versammlung für diese neue Welle noch viele weitere Beispiele zusammentragen wird, etwa aus der Schweiz, England, Chile, Brasilien, Mexiko und Südafrika und darüber hinaus.

„Gut Ding braucht Weile“ und braucht seine Zeit um zu reifen. Wir mussten auch lernen, dass es einige Themen gibt, wie z. B. die Partnerschaftssegnung, die nicht innerhalb der relativ kurzen Frist von nur wenigen Jahren zufriedenstellend bearbeitet werden können. Sie erfordern einfach mehr Zeit. Trotzdem sind wir ziemlich optimistisch, dass wir auch in dieser Frage bald Fortschritte sehen werden.

In diesem Jahr haben wir auch das 500-jährige Jubiläum der Reformation durch Martin Luther gefeiert. Zum ersten Mal in seiner Geschichte wurde dieses für Deutschland so wichtige Jubiläum in ökumenischer Freundschaft gefeiert. Unter uns LGBTIQ-Christ_innen sind die meisten Gruppen ökumenisch oder arbeiten in ökumenischer Partnerschaft zusammen. Fast alle evangelischen Landeskirchen haben Segnungsfeiern für gleichgeschlechtliche Paare eingerichtet und vier von ihnen sogar die volle Gleichheit mit der heterosexuellen Ehe beschlossen. In meinen Augen sind sie für die katholische Kirche in Deutschland ein gutes Vorbild. Die Fortschritte bei ihnen tragen in signifikanter Weise zu der Erwartung bei, dass Kirchen sich ändern können.